Freitag, 27. April 2007

Ursachen und Wirkungen

Tausende von Menschen aus Europa und anderen Kontinenten versammelten sich im Oktober 2004 zum 3. Europäischen Sozialforum (ESF). Sie trafen sich in London, um miteinander Erfahrungen auszutauschen und zu überlegen, wie man eine "bessere Welt" und eine globale "soziale Gerechtigkeit" schaffen könnte.

Die Sozialistische Partei (SPGB) verteilte bei dieser Veranstaltung folgenden Text, in dem wir uns mit dem gut gemeinten Versuch beschäftigen, die Warengesellschaft zu verbessern.


Derzeit wird wieder mobilisiert, gegen das Treffen der G-8 in Heiligendamm. Unser Text könnte, mit ein paar unwesentlichen Änderungen, auch dort verteilt werden. Es ist ziemlich sicher, dass er zu dem Besten zählen würde, was die Teilnehmer und Teilnehmerinnen dort zu lesen bekämen.

Hier geht´s los: Im Jahre 2001 nahm das World Social Forum (WSF) eine Grundsatzerklärung an, die in Teilen gar nicht schlecht ist. So nimmt das WSF Stellung gegen den Neoliberalismus und die Beherrschung der Welt durch das Kapital, gegen Imperialismus und für eine weltweite und allen nutzbringende Kooperation zwischen den Menschen. Ähnlich formuliert es auch das ESF, wenn es sich zum Beispiel gegen Kriege und Rassismus, aber für Arbeiterrechte und für eine sozial gerechte, ökologisch nachhaltige Gesellschaft ausspricht.

Viele TeilnehmerInnen am ESF sehen sich selbst wohl als Anti-Kapitalisten in dem Sinne, dass sie gegen Globalisierung, Neoliberalismus, die Macht der USA, der Welthandelsorganisation (WTO), gegen Kriege usw. eintreten.

Es ist gut, in Opposition gegen die verschiedenen Arten der Unterdrückung, gegen Ungleichheit, Ausbeutung und Brutalität innerhalb des kapitalistischen Weltsystems zu stehen. Aber unserer Auffassung nach, sollte dies verbunden werden mit einem Verständnis der Ursache für diese zwar unerwünschten, aber grundsätzlich unvermeidbaren Wirkungen.

Der freie Warenaustausch, der unfaire Handel, die Privatisierung kommunaler Einrichtungen, der Neoliberalismus, die ökonomische Ungleichheit zwischen den Staaten sind Folgen, Wirkungen, Manifestationen der Funktionsweise des Kapitalismus.

Daher sollten nicht in erster Linie einzelne Übel und soziale Mißstände bekämpft werden, sondern die Ursache dafür: der den ganzen Planeten umspannende und alle Menschen beherrschende Kapitalismus. Das heißt ein System, in dem sich alle Produktionsmittel und alle Ressourcen im Privateigentum einer winzigen Minderheit der Weltbevölkerung befinden. Wir zählen zum "Privateigentum" übrigens auch das "vergesellschaftete" oder verstaatlichte Eigentum.

Produziert wird nur, wenn Profite winken. Die menschlichen Bedürfnisse sind in der Warengesellschaft im Grunde bedeutungslos. Unter diesen Umständen bleibt der übergroßen Mehrheit der Weltbevölkerung nichts anderes übrig, als zu versuchen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Und dies ist durch "Reformen", durch einen Kapitalismus "mit menschlichem Antlitz" oder mit "Sozialer Marktwirtschaft" nicht zu ändern.

Beim ESF gibt es viele Menschen die eine Art gegenseitiger Hilfe praktizieren. Sie haben viele Arbeiten freiwillig übernommen und kooperieren zum gegenseitigen Nutzen miteinander, häufig ohne dafür bezahlt zu werden. Die Ablehnung (wenigstens im Ansatz) von Führern und Hierarchien und die Praxis einer für alle geltenden und möglichen "partizipatorischen" Demokratie beim ESF sind für uns weitere Beispiele dafür, dass Menschen durchaus ihr Leben selbstsbestimmt und selbstorganisiert in die Hand nehmen können.

Dies sind Elemente einer Gesellschaft, für die wir eintreten und die nur durch die überlegte und bewusste Aktion der ArbeiterInnen, der normalen Leute, der "ordinary people", weltweit verallgemeinert werden kann. Nicht jedoch durch irgendwelche Avantgarden, Führer oder Eliten.

Die entscheidende Voraussetzung dafür ist allerdings die vollständige Beseitigung des Kapitalismus und - nach dem Ende jeder gesellschaftlichen Klassenteilung - des Staates, der mit der Klassenherrschaft auf das Engste verbunden ist.

Für uns folgt daraus, dass es letztlich nicht darum gehen kann, einen sympathischeren, gerechteren, weniger bösartigen, friedlicheren Kapitalismus und schon gar nicht irgendeine Art Staatskapitalismus zu schaffen.

Zur Situation in Deutschland:

Hier wird mit nun mit der Agenda 2010 das nachgeholt, was Schröders KollegeInnen von der Konservativen und der Labour Partei in Groß Britannien schon vor Jahren vorexerziert haben: Soziale Demontage für mehr Profite.

Die Sozialreformgesetze der Bundesregierung haben weitgehende Auswirkungen auf die Lebensbedingungen von Millionen Menschen, die bisher von Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe oder einem Aushilfsjob plus ergänzender Sozialhilfe leben. Sie werden in die mit Zwangsarbeit kombinierte materielle Verelendung getrieben.

Dies wird auch den Druck auf Beschäftigte in bisherigen tariflichen „Normalarbeitsverhältnissen“ massiv erhöhen und einen allgemeinen rapiden Preisverfall der von uns angebotenen Arbeitskraft in allen Segmenten des Arbeitsmarktes zur Folge haben.

Klar, im Kapitalismus ist es genauso wenig Aufgabe der Unternehmen "Arbeitsplätze zu schaffen", wie mit ihren Produkten die Bedürfnisse der menschlichen Gesellschaft zu befriedigen. Arbeitskräfte werden dann eingestellt wenn ihr Gebrauch die vom Kapital als notwendig erachteten Profite einfährt.


Die vornehmste Aufgabe der ArbeiterInnen ist es, die UnternehmerInnen reich zu machen. Güter werden nur dann hergestellt, wenn eine ausreichend zahlungskräftige Nachfrage zu erwarten ist und sie als Waren verkauft werden können.

Arbeitskräfte sind nichts anderes als Träger und - in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit erfolglose - Verkäuferinnen ihrer Arbeitskraft, der letztlich einzigen Ware, über die sie verfügen. Wir alle müssen versuchen, unser "human capital", unsere spezifisch ausgestaltete Arbeitskraft, an die Meistbietenden zu verscherbeln, um vom Ertrag unseren Lebensunterhalt zu bestreiten.

Im Kapitalismus ist dies das Normalste der Welt. Normal ist auch, daß Leute, die für die Vernutzungsansprüche des Kapitals zu teuer sind, rigoros ausrangiert werden und dann sehen müssen, wie sie über die Runden kommen, z.B. als Kunden der Arbeitsagenturen.

Gestritten wird meist nur über einen konkreten Preis der Ware Arbeitskraft. Dies ist das Hauptbetätigungsfeld der DGB-Gewerkschaften.


Aber das System der Lohnarbeit selbst, das Verkaufen und Kaufen soll nicht angetastet werden. Im Gegenteil, es wird als das Unhinterfragbarste der Welt dargestellt und hingenommen. Die FreundInnen, wie die KritikerInnen der Reformen wollen - so oder so - am Preis der Lohnarbeit und an der Höhe der Profite herumwerkeln, zur Verewigung des heiligsten und wichtigsten aller Fetische: der Ware.

Der "deutsche Sozialstaat" war nicht nur eine von uns erkämpfte Errungenschaft, sondern auch - und vor allem - soziale und politische Befriedung sowie die Integration in den immer brüchigen Konsens des kapitalistischen Staates. Heute sind wir wieder in der Normalität der ungebremsten kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse angekommen.

Der Widerstand gegen die Agenda ist ein notwendiger Akt der Selbstverteidigung. Dieser allein jedoch zeigt keine wirkliche Perspektive auf, sondern ist höchstens ein kleiner Schritt auf einem langen und beschwerlichen Weg. Aber das auch nur dann, wenn wir allmählich den ganzen andressierten Dreck über die Wohltaten des Kapitalismus vergessen und unsere triste (bunte) Lohnsklaven-Existenz als einen verabscheungswerten und inhumanen Zustand erkennen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen.

Es geht um einen revolutionären Wechsel zu einem anderen sozialen System, das auf sozialer Gleichheit, freiwilliger Kooperation und Demokratie (soziale Gleichheit plus Beteiligungsmöglichkeit aller Menschen) beruht und in der die Produktion von Gütern zur Befriedigung menschlicher Bedürfnissen erfolgt und nicht um Profite zu erwirtschaften.


Es geht um eine Welt, in der alle natürlichen und gesellschaftlich geschaffenen Ressourcen der gemeinsame Besitz aller Menschen sind und für den gegenseitigen Nutzen aller Menschen verwendet werden.

Dies wäre eine Gesellschaft ohne Lohnarbeit, Kapital, Geld, Waren, Klassen, Nationen und Staaten. Wir nennen solch eine Gesellschaft "Sozialismus". Daraus kann man schon erkennen, was wir von den "sozialistischen Staaten" und den "sozialistischen/kommunistischen Parteien", die sie unterstützt haben, oder es noch tun, halten: nämlich dass es sich um staatskapitalistische Regime und (hierarchische) Parteien handelt.

Und mit diesen haben wir als anti-hierarchische und gegen alle Formen des Reformismus und Staatskapitalismus gerichtete Organisation, als Sozialistische Partei, seit unserer Gründung vor hundert Jahren, seit 1904, nichts zu tun.


Diese Kombination macht uns einzigartig. Mit der üblichen Linken kann man uns kaum verwechseln.