Die Partei für soziale Gleichheit (PSG, Internationales Komitee für die Vierte Internationale) stellte auf einer Veranstaltung ihre Lehren aus „1968“ vor. Daran nahmen 60 Personen teil, die weit überwiegende Mehrheit gehörte dieser Partei sowie ihrem internationalen Studentenverband an.
Während wir die Beschreibung mancher Ereignisse, sogar manche Einschätzungen teilen konnten, kam doch sehr gut zum Ausdruck, allerdings nicht so sehr im Referat selbst, als vielmehr in der sich anschließenden Diskussion, worin die großen Unterschiede zwischen der PSG und der Sozialistischen Partei (SPGB) bestehen.
Während die PSG davon ausgeht, dass es die Partei ist, die führt, meint die SPGB, dass sich die Lohnabhängigen nur selbst befreien können, weil sie es wollen und weil sie es können. Sie werden nicht geführt, sondern sie führen sich – sozusagen – selbst. Während die SPGB meint, dass Lohnabhängige, die "lediglich" mehr Lohn verlangen, mehr Lohn verlangen und nicht die Aufhebung der Lohnarbeit, behauptet die PSG, dass sich Lohnforderungen, Dank des Eingriffs der Partei freilich, sehr schnell gegen das System der Lohnarbeit richten können. Und wie sieht der Eingriff letztendlich aus? Indem die Partei die Macht ergreift und dann die richtigen Maßnahmen durchführt. Die Mehrheit der Lohnabhängigen kann feindlich, oder passiv sein, Hauptsache die Partei und eine entschlossene Minderheit, wobei unklar blieb, wir groß oder wie klein man sich diese Minderheit vorstellen soll, der Klasse will es und ergreift die Macht (im Staate).
Die Ursache des „Scheitern“ der Arbeiterkämpfe vom Mai 1968 in Frankreich liegt nach Auffassung der PSG nicht im beschränkten Bewusstsein der (Welt-) Arbeiterklasse und den sich daraus ergebenden beschränkten ökonomischen, sozialen und politischen Forderungen, wie dies die SPGB sagt, sondern im Fehlen einer Partei (wie der PSG), die die Macht an sich gerissen hätte. Und die nach der Machtergreifung – wenn dies trotz der Gegenwehr des Staates des Kapitals (und seiner Unterstützer) irgendwie gelungen wäre – ihre Macht konsolidiert und die Arbeiterinnen und Arbeiter zum Kommunismus geführt hätte.
Wie man sich dies konkret vorzustellen hat, das kann man am besten, meinen wir, in Trotzkis Texten „Arbeit, Disziplin und Ordnung“ (1918) und „Terrorismus und Kommunismus“ (Anti-Kautsky) (1920) nachlesen (beide Texte scheint es im Internet auf Deutsch nicht zu geben, nur auf Englisch).
http://www.marxists.org/archive/trotsky/1918/03/work.htm
http://www.marxists.org/archive/trotsky/1920/terrcomm/index.htm
Anläßlich der Veranstaltung formulierten wir folgendes Flugblatt:
1968: eine soziale revolution, die es nicht gab
Vor 40 Jahren, 1968, genauer gesagt, um dieses Jahr herum, gab es einen gewaltigen Ausbruch unterschiedlichster Proteste in verschiedenen Teilen des kapitalistischen Weltsystems. Zweifelsohne gab es zwischen diesen Protestbewegungen inhaltliche und kommunikative Verbindungen. Aber es ist ebenso wahr, dass in den einzelnen Ländern jeweils auch besondere Umstände eine wichtige Rolle spielten. In den USA zum Beispiel war dies die widerliche Rassendiskriminierung, in Groß-Britannien (in Nord-Irland) der nationalistische Konflikt zwischen der katholischen und protestantischen Bevölkerung. Während viele der in Europa agierenden Aktivisten eher politisiert waren, war in den USA der Einfluss der sozusagen „unpolitischen“ Hippies besonders ausgeprägt.
die lohnarbeiterinnen und lohnarbeiter in frankreich
Wie dem auch sei, „1968“ war nicht nur eine Zeit der Hippies und anderer Subkulturen, auch nicht nur eine Zeit der Studierenden, sondern auch und vor allem ein Jahr der Klasse der Lohnarbeiter. In Frankreich streikten einen kurzen historischen Moment lang Millionen von Arbeiterinnen und Arbeitern, hunderte von Fabriken waren kurzzeitig besetzt. Manche Enthusiasten glaubten bereits daran, dass in Frankreich der Moment nahe sei, an dem die gesamte Industrie (und wahrscheinlich auch alle anderen Wirtschaftssektoren) in die Hände der Arbeiter übergehen und dass dann, ja was eigentlich, jedenfalls irgendetwas „sozialistisches“ geschehen würde. Die Arbeiter würden die Fabriken unter ihre Kontrolle bringen und sie dann in Selbstverwaltung weiter führen. Nun ja, wenigstens war dies die Hoffnung vieler Aktivisten der politischen Linken des Kapitals.
Allerdings dachte nur eine Minderheit der Arbeiter daran, die Kontrolle über die Unternehmen zu übernehmen und dann selbstverwaltet weiter zu arbeiten. Die Gewerkschaften und die Masse der Arbeiterinnen und Arbeiter streikten und besetzten zwar, aber nur deshalb, um ihren typischen Forderungen Nachdruck zu verschaffen: Mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen. Nachdem diese Forderungen mehr oder weniger erfüllt wurden, wurden die Streiks und Besetzungen beendet. Die kapitalistische und gewerkschaftliche Normalität setzte sich wieder durch, besser gesagt, sie war niemals wirklich gefährdet.
Natürlich setzte der Staat auch reale und schmerzhafte Gewalt gegen Demonstranten, Streikende und Besetzer ein. Denn selbst Versuche, den Kapitalismus zu reformieren (ihn zu humanisieren) können auf erbitterten Widerstand der etablierten Ordnung stoßen. Man denke nur an die brutalen Einsätze der Truppen des französischen Innenministeriums. Aber die Gewaltanwendung des französischen Staates blieb dennoch – im Verhältnis dazu, wozu ein wirklich bedrohter Staat fähig ist –moderat. Arbeiterviertel wurden weder mit Kanonen beschossen, noch bombardiert, es wurden keine Panzer eingesetzt, um auf Demonstranten zu schießen usw.
arbeiterselbstverwaltung
Die Mehrheit der Industriearbeiter in Frankreich konnte sich nicht für die Idee der “Arbeiterselbstverwaltung” von Industriebetrieben erwärmen. Dies ist einer der Gründe dafür, dass dieses Vorhaben der politischen Linken nicht realisiert wurde. Aber was wäre eigentlich wenn die Arbeiterkontrolle gegen den staatlichen Gewaltapparat durchgesetzt worden wäre? Was wäre dadurch gewonnen worden, wenn es zum Beispiel beim Autokonzern „Renault“ gelungen wäre, eine Arbeiterselbstverwaltung einzuführen?
Der Markt, die kapitalistische Warengesellschaft, bliebe dadurch unverändert. Maschinen usw. müssten weiterhin auf dem Weltmarkt gekauft, Lohne müssten weiterhin gezahlt und die Autos – in Konkurrenz gegen andere Anbieter – verkauft werden. Die sich selbst verwaltenden Lohnarbeiter bei Renault müssten gegen jene von Citroen konkurrieren und gegen jene von VW und Toyota usw. usf. Die Arbeiter stünden weiterhin in Konkurrenz zu anderen Arbeitern und selbstverständlich zu anderen kapitalistischen Unternehmen. Sie müssten sich weiterhin an der kapitalistischen Effizienz orientieren, sie müssten so günstig, wie möglich produzieren, dafür – wenn nötig - Löhne kürzen und die Arbeitszeit ausdehnen, also selbstverwaltet das tun, was die Kapitalisten, wenn sie nicht vom Markt gefegt werden wollen, auch machen müssen, weil sie von der kapitalistischen Konkurrenz dazu gezwungen werden.
Zwar hätte sich sozusagen das Personal geändert, denn die Warenproduktion liefe im Namen der sich selbst verwaltenden Arbeiter, statt der sich selbst verwaltenden Kapitalisten, aber die Arbeiter blieben in dieser Konstellation Agenten, Funktionäre des Kapitals. Die Warenproduktion, das Kapital (als soziales Gewaltverhältnis) funktionierte also mit anderem Personal, zwar etwas reformiert, aber ungerührt weiter. Wir meinen jedenfalls, dass Arbeiterselbstverwaltung auf betrieblicher oder nationaler Ebene unter Beibehaltung der kapitalistischen Struktur weder bereits Sozialismus ist, noch einen Schritt in diese Richtung bedeutet. Übrigens genauso wenig, wie die Verstaatlichung von Unternehmen.
Um das Jahr 1968 gab es zwar viele Aktivitäten der Arbeiterinnen und Arbeiter, aber selbst die radikaleren Teile dieser Bewegung verschwendeten bedauerlicherweise ihren Elan und Mut dafür, sich für die Arbeiterselbstverwaltung von (Groß-) Betrieben, also für einen reformierten Kapitalismus einzusetzen. Vielleicht haben große Teile der Arbeiterklasse diese Ziele auch deshalb nicht unterstützt, weil sie sozusagen unmittelbar – und ohne die Trübung durch linke politische Theorien - erkannten, dass es sich für die Fortsetzung des Kapitalismus in Selbstverwaltung nicht lohnt, seinen Kopf hinzuhalten und irgendwelche Risiken einzugehen.
Wir sprachen hier sowohl von den großen Gewerkschaften, von den Freunden der Selbstverwaltung und von der überwiegenden Mehrheit der Lohnarbeiter. Aber es gab sicherlich auch Ausnahmen: Die radikalen Minderheiten der Klasse. Nur konnten sie sich nicht durchsetzen, d.h. sie konnten ihre Ablehnung von Kapital, Nation und Staat unter den anderen Arbeitern weder in Frankreich, noch in Europa, geschweige denn weltweit mehrheitsfähig machen.
Wir treten ein für eine Weltgesellschaft in der sämtliche Mittel sozialer Produktion und Verteilung materieller und immaterieller Güter sich im „Eigentum“ und unter allgemeiner „demokratischer“ Kontrolle durch und zum Nutzen der gesamten Weltbevölkerung befinden. Und nicht – wie bislang – zum Wohle einer kleinen Minderheit. Wir nennen diesen gesellschaftlichen Zustand "Weltsozialismus", aber an diesem Namen liegt uns nichts.
Alles andere, insbesondere der Versuch den Kapitalismus zu verbessern, ist, unserer Meinung nach, sinnlos. Wobei wir die guten Absichten derjenigen, die dies versuchen, nicht in Abrede stellen möchten. Die oben erwähnte „kleine Minderheit“, kontrolliert übrigens nichts wirklich. Denn die Kapitalisten und Politiker (von rechts bis links), werden durch die „unpersönlichen“ Gesetze des Kapitals getrieben. Wir wenden uns also nicht in erster Linie gegen die einzelnen Kapitalisten, sondern gegen das Kapital, als ein soziales Verhältnis.
Das soziale Verhältnis namens „Kapitalismus“ kann nur solange funktionieren, solange die Mehrheit der Weltbevölkerung, die Lohnabhängigen, freiwillig, oder nicht, sich diesem unterwirft. Demzufolge kann der Weltsozialismus auch nur dann geschaffen werden, wenn die Mehrheit begreift, welche Nachteile sie im Weltkapitalismus erleidet und welche Vorteile sie im Weltsozialismus erzielen könnte. Und wenn sie versteht, dass niemand stellvertretend für sie handeln kann. Die Lohnabhängigen der Welt müssen die soziale Revolution entweder selbst durchführen, oder es wird sie nicht geben.
ach ja, wer sind denn überhaupt „wir“?
Seit unserer Gründung sind wir eine egalitäre, direkt-demokratische und transparente Organisation. Es gibt keine internen Hierarchien. Diskussionen und Entscheidungsprozesse vollziehen sind öffentlich. Wir beteiligen uns nicht an emotionalisierten, meist irrationalen und gewalttätigen Aktionsformen. Wir sind sozusagen eine Einpunkt-Bewegung: Wir streben keinerlei andere Ziele an, als den Weltsozialismus.
Es lohnt sich jedenfalls, über uns mehr Bescheid zu wissen und mit uns Kontakt aufzunehmen.