Donnerstag, 3. Mai 2007

Wahlen in Schottland

Der Nationalismus ist für Sozialisten ein Greuel. Wir haben kein „Vaterland“. Mit den Lohnabhängigen in fremden Ländern verbinden uns mehr Gemeinsamkeiten, als mit der privilegierten und herrschenden Klasse des Landes, in dem wir gerade leben. Die ArbeiterInnenklasse ist ohnehin eine Klasse von Migranten.

Diese globale Klasse hat ein gemeinsames Interesse daran, die Ausbeutung zu beenden, und gemeinsam eine Welt ohne Grenzen zu schaffen, in der sämtliche Ressourcen allen Erdbewohnern gehören. Dadurch wäre eine weltweite Produktion zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse möglich, statt die Produktion dem Diktat des Kapitals (des Profits) unterwerfen zu müssen.

Zwar würden in solch einer Weltgesellschaft die kulturellen Unterschiede zwischen Menschengruppen und Individuen zu einem Teil sicherlich bestehen bleiben und neue würden sich entwickeln. Aber alle Menschen wären auf allen Gebieten endlich gleichberechtigte Bewohner des Planeten.

Daher sollte es klar sein, warum Sozialisten keine Partei ergreifen bei Debatten, die z. B. gegenwärtig im Wahlkampf zum Schottischen Regionalparlament geführt werden.

Dabei geht es um die Frage, ob es für die Lohnabhängigen besser wäre, von Edinburgh (der schottischen „Hauptstadt“) aus regiert zu werden, wie dies die „Scottish National Party“ (SNP) behauptet. Oder ob die Regierungsentscheidungen im Wesentlichen weiterhin in London fallen sollten, wie dies die britischen Nationalisten von der Labour Partei sowie von der Liberaldemokratischen und Konservativen Partei verkünden.

Die schottischen Nationalisten (SNP) sagen, dass die Schwierigkeiten, mit denen es die Lohnabhängigen in Schottland in ihrem alltäglichen Leben zu tun haben, v. a. dadurch verursacht werden, dass sie von „Westminster“ (in London) regiert werden. Ein unabhängiges Schottland wäre dagegen der Garant für Vollbeschäftigung, höhere Löhne, bessere Sozialleistungen, ein leistungsfähigeres Gesundheitssystem und so weiter (was Politiker im Wahlkampf eben so alles versprechen).

Diese Sicht findet auch bei der „Scottish Socialist Party“ (SSP) und der „Solidarity Party“ des Tommy Sheridan Anklang. Ziemlich absurd, aber bezeichnend für diese Art von Linken.

Die nationale Unabhängigkeit Schottlands würde sich in Wirklichkeit vor allem auf der formalen Ebene der Verfassung abspielen. Sie hätte einen rein “politischen” Charakter. Die grundlegenden ökonomischen und sozialen Strukturen dieses neuen Staates blieben dagegen weiterhin die alten, also die kapitalistischen.

Es bliebe weiterhin eine privilegierte Klasse bestehen die die Produktionsmittel besitzt und kontrolliert. Wie bislang schon. Während der Rest der Bevölkerung weiterhin für sie arbeiten müsste. So wie jetzt. Die öffentlichen Briefkästen bekämen vielleicht einen neunen Anstrich: Mit Schottenmuster. Das wäre aber auch schon alles.

Auch eine schottische Regierung wäre nämlich gezwungen, unter jenen grundlegenden Beschränkungen zu arbeiten, die das kapitalistische Weltsystem auszeichnen und ohne die es nicht bestehen könnte.

Diese Regierung müsste als erstes sicherstellen, dass die in Schottland hergestellten Waren sich auf dem Weltmarkt – in Konkurrenz mit Waren aus anderen Ländern - verkaufen lassen. Sie müsste ihr Bestes tun, damit die in Schottland investierenden (in- und ausländischen) Kapitalisten dort mindestens den gleichen Profit erwirtschaften, wie sie dies in anderen Ländern könnten.

Mit anderen Worten: Die schottische Regierung wäre den gleichen Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus, den gleichen Druckmechanismen unterworfen, wie die derzeitige britische Regierung in London. Sie müsste Rahmenbedingungen schaffen und sichern, um die Einkommen der Lohnabhängigen zu beschränken und die Profite der Kapitalisten zu erhöhen.

Auch der schottisch-nationale Staatskapitalismus, der von der SSP und SP propagiert wird, würde in dieser Hinsicht keinen Unterschied ausmachen. Wie z. B. in Kuba, so müssten sich auch die in einem staats-kapitalistischen Schottland hergestellten Exportwaren auf dem Weltmarkt gegen eine harte Konkurrenz durchsetzen. Dies wäre im Grunde nur möglich, wenn die Einkommen der Lohnabhängigen diesem Ziel angepasst, also gesenkt, würden.

Die globale Klassengesellschaft, die durch eine für den Profit und nicht für die Befriedigung menschlichen Bedürfnisse motivierte Produktion gekennzeichnet ist, ist die Ursache der sozialen Probleme, mit denen die ArbeiterInnen in Schottland, wie in England und im Rest der Welt konfrontiert sind. Und zwar ganz unabhängig davon, ob Schottland ein eigener Staat wird, oder nicht.

Im Falle ihres Wahlsiegs verspricht die SNP bereits jetzt, 2010 ein Referendum über die Unabhängigkeit abhalten zu lassen. Welch eine sinnlose Verschwendung von Zeit und menschlicher Energie. Aber die SNP scheint das zu brauchen, insbesondere dann, wenn sie jetzt tatsächlich einen Wahlsieg erringen sollte.

Denn wenn eine SNP-Regionalregierung nichts für eine substantielle Verbesserung der sozialen Situation der Bevölkerung in Schottland zustande bringen sollte (dies werden die Gesetze des Kapitals zu verhindern wissen), wird sie die Chance haben, auf das kommende Referendum zu verweisen. Zwar konnte man jetzt noch nichts tun, aber dann, wenn das Referendum zur wahren Unabhängigkeit führt, ja dann usw., usf.

Unsere Opposition zur Scottish National Party (SNP) sollte übrigens nicht so interpretiert werden, dass wir etwa für die Beibehaltung der Union (also für den gegenwärtigen Zustand), oder jene Parteien eintreten würden, die die Union aufrechterhalten wollen. Mitnichten. Wir stehen auch dazu in Opposition. Wir sind weder für Schottland, noch für Groß-Britannien, sondern für den Weltsozialismus.